2012-10 Leitartikel

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Macher, Typen und Wahnsinnige

Eine gute Portion Wahnsinn gehört seit jeher zum Motorradgeschäft

Schon der große Philosoph und Schwimmmeister Schlotterbeck brachte es auf den Punkt: Hüte dich vor den Weltverbesserern und Pfennigfuchsern. Die einen haben aus Neandertalers Holzkeule die Atombombe gemacht, die anderen verkaufen dir einen Stein, wenn du einen Hammer verlangst. Dafür ist der Stein bunt angemalt.
Was zwischen diesen weit verbreiteten Modellcharakteren anzutreffen ist, darf ungestraft leibhaftig gelebter Wahnsinn genannt werden. Und man darf vom Glück reden, dass neben den beiden erstgenannten Gruppen vor allem die angenehm Wahnsinnigen seit jeher die Motorradbranche bevölkern. Leute, die nicht zuerst nach Zweck, Nutzen und Profit fragen, sondern die einfach ihr Ding machen. Auch wenn alle Vernunftbegabten verständnis-los den Kopf schütteln. Ohne solche Menschen gäbe es keine neue Horex, keine Ducati, keine Harley-Davidson, keine Honda und auch keine BMW. Denn was angesichts der eindrucksvollen Erfolge bayerischen Motorradbaus in den letzten Jahren gerne übersehen wird, ist die Tatsache, dass in den oberen Etagen der Konzernleitung vor noch gar nicht so langer Zeit über die Schließung der Motorradsparte nachgedacht wurde. Sie wissen ja, die Pfennigfuchser. Dass der Wahnsinnsfaktor analog zur Größe der Firma zurückgedrängt und domestiziert wird, sieht man derzeit nicht zuletzt bei den japanischen Motorrad-Fabrikanten. Wenn die wirtschaftlichen Zeiten härter werden, haben Weltverbesserer und Pfennigfuchser nur noch wenig mitzuteilen. Es hilft dann nicht weiter, Abgelutschtes wechselseitig noch weiter zu kopieren und Herstellungskosten unter dem Deckmantel elektronischer Gimmick-Neuheiten geflissentlich zu drücken.
Das Thema Motorrad lebt zumindest in Europa stark von der Magie der Dinge. Und Magie, das schaffen nur Wahnsinnige. Auch wenn mancher Wahnsinnige gar nicht weiß, dass er zu diesem auserwählten Kreis gehört. Und man muss solche Leute auch machen lassen. Man denke etwa an die Allianz von Cagiva-Boss Claudio Castiglioni und Motorrad-Maniak Massimo Tamburini. Die Ergebnisse hießen Ducati 916 und MV Agusta F4. In diesem Zusammenhang sollte das Wort „Design“ nur mit größter Vorsicht als rettende Wunderdroge gepriesen werden. Die Realität sieht nämlich ganz anders aus. Denn zur Pestgeißel der Neuzeit gehören zweifellos auch manche Designer mit ausgeprägt künstlerischem Sendungsbewusstsein.
Rückendeckung bekommen solche Verpackungsexperten dann aus der dominierenden Marketing-Abteilung, weil die Techniker in den meisten Fällen nur noch ein Mitspracherecht haben, wenn es um die billigere Detaillösung geht. Design-Weltverbesserer und Pfennigfuchser zusammen sind der Fluch der modernen Industriegesellschaft. Ganz schlechte Motorradbauer sind sie sowieso.
In dieser MO-Ausgabe machen wir’s eine Nummer kleiner. Wir stellen im großen Spezialteil ab Seite 14 Typen, Macher, Handwerk und Maschinen vor, die unsere Motorradseelen bewegen. Wenig erstaunlich, dass sich dabei vieles in Italien abspielt. Das südliche Nachbarland ist seit Jahrzehnten so etwas wie das Motorradherz Europas. Dabei sind es besonders die kleinen und kleinsten Firmen, die mit Enthusiasmus immer wieder Öl ins bisweilen müde flackernde Motorradfeuer gießen und somit auch wie eine Art Katalysator für die gesamte Szene wirken können. Begeisterung muss hin und wieder angefacht werden.
In Deutschland fällt das auch in unseren Zuständigkeitsbereich. Denn Freude am Motorrad hat nichts mit dem Zusammenzählen von Testsiegerpunkten zu tun, sondern einzig und allein mit den Erlebnissen, die im und im Angesicht des Motorradsattels eingesammelt werden können. MO-Leser wissen das, und deshalb sind sie schon mal die besseren Wahnsinnigen.

Willkommen im Club.
Ich wünsche Ihnen wahnsinnig viel Freude mit der aktuellen MO-Ausgabe
 

Jo Soppa, Chefredakteur

 

zurück zur MO 10/2012