2012-12 Leitartikel

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Vorteilsnehmer
Für den Schnäppchenkauf fahren manche Schlauberger hunderte Kilometer weit

Es mag bei genauem Hinsehen fies und unmoralisch aussehen, aber auf der persönlichen Vorteilnahme basiert unser Gesellschaftssystem. Stellen Sie sich etwa ein Fußballspiel vor. Der Verteidiger verstolpert den Ball und legt die Pille in seiner Torheit dem Angreifer passgenau vor die Füße. Der bräuchte nur noch einzuschieben, tut es aber nicht. Er entscheidet sich ganz anders. Aber was würden die versammelten Experten sagen und vor allem zetern, würde der Stürmer-Star den Ball dem verdutzten Verteidiger zurückspielen, weil ihm ein derart billig geschenktes Tor viel zu unsportlich wäre?
Das öffentliche Leben ist voller Vorteilnehmer. Da hätten wir aktuell einen Kanzler-Kandidaten, der sein vom Bürger auferlegtes Staatsdiener-Amt samt gewonnener Popularität dazu nutzt, um seine private Schatulle kräftig aufzufüllen. Das steht mir zu, sagen auch all jene, die an die Fleischtöpfe der vermeintlich wohlhabenden Gesellschaften drängen, weil sie im Buschfunk hörten, dass es dort „money for nothing” oder sogar satte Prämien fürs bloße Kinderkriegen gäbe.
Für die in Wohlstand Aufgewachsenen sehen die Vorteilnahmen schon viel differenzierter aus. Da kuschelt sich die leibhaftige Brigitte-Familie ins voll gepanzerte 400-PS-SUV, weil damit das Überleben der Sippschaft in der Rush-Hour aussichtsreicher ist als im klapprigen Kleinwagen.
Wie bescheiden nehmen sich dagegen die Vorteilsmöglichkeiten des Motorradmenschen aus. Seit ein paar Jahren klammert er sich ans ABS wie an den letzten rettenden Strohhalm der Menschheit. In dicker „Dynamik-Motorisierung” plus Antischlupf-Regelung, dazu heizbare Griffe und dynamisch-automatisch einreguliertem Fahrwerk sieht er weitere Möglichkeiten zur Vorteilnahme im Straßenverkehr. Wie früher im Krieg. Die bessere Waffe soll über Sieg und Niederlage die Entscheidung bringen.
Vorteile sucht der ausgebuffte Endkunde auch lange, bevor es mit dem Motorradfahren los geht. Da wird der lokale Händler mit Fragen nach Stärken und Schwächen des angepeilten Wunschmodells nur so gelöchert und somit seiner kostbaren Arbeitszeit beraubt, nur um nachher mit gefestigter Kaufabsicht im Internet nach dem günstigsten Angebot Ausschau zu halten. Steht dann der erste Garantiefall an, scheut der Schlauberger selbstverständlich den weiten Weg zum Schnäppchenhändler, bei dem er sein Rad gekauft hat. Die Probleme soll jetzt selbstredend der lokale Händler aus dem Weg räumen, schließlich ist der gute Mann Vertragshändler der Marke.
In unserem Nachbarland Italien herrscht in dieser Beziehung übrigens noch eine ganz andere Kultur. Dort ist es nach wie vor üblich, soweit möglich alles direkt am Ort einzukaufen. Ein Heer von Klein- und Kleinst-Händlern zieht sich wie ein dicht gewebter Teppich übers Land. Der Hinterhof-Fachmann ist dort noch respektiertes Bindeglied im Gesamtsystem und nicht aus der Zeit gefallenes Überbleibsel im modernen Mahlstrom der auf Effizienz und Stückzahl bedachten Marketing-Wunderwelt.
Mit Vorteilnehmern haben auch wir es als Macher einer Zeitschrift zu tun. Da werden wohlfeile Testerworte und schön gefärbte Prädikatsurteile erwartet, die sich geschickt in kostenlose Werbung für das Produkt ummünzen lassen. Und der Kunde will dann wiederum die Prädikatsware zum einmaligen Rabattkurs.
Sie sehen, irgendwann beißt sich die Katze immer in den Schwanz. Deshalb plädiere ich an dieser Stelle einmal für unseren – theoretischen – Stürmerstar. Spielen Sie den Ball zurück. Seien Sie sportlich. Es bringt keinen Vorteil, aber ein gutes Gefühl. Und das wiegt mehr als alle Kletterkünste zwischen persönlichem Rüstungswahn und geldwerter Ausgebufftheit.
Zurecht werden Sie jetzt fragen, welche Vorteile dieser komische Chefredakteur einer Motorradzeitschrift denn so übers Jahr einstreicht. Kann ich Ihnen sagen: Er braucht nicht unbedingt ein eigenes Motorrad zu kaufen. Er kann seine Fahrten von der Steuer absetzen, und er bekommt – sofern er das möchte – beim Kauf einer Ware Presserabatt. Aber ich darf Ihnen versichern, dass ich all das seit jeher sehr sportlich angehe.

Viel Vergnügen mit Deutschlands offen und herzlicher Zeitschrift für bestmögliche Motorradkultur wünscht

Jo Soppa (Chefredakteur)
 

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