2013-04 Leitartikel

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Nicht alles ist ein Auto
Selbst Alfred Bajohr hätte an der neuen BMW GS seine Freude gehabt

Königswellen-Ducatis waren seine Leidenschaft, auch an Guzzi-Twins hat er sich erfolgreich versucht. Alfred Bajohr selig wurde bei seinen Besuchen in der Redaktion nie müde, den Anwesenden seine Sicht der Motorradwelt um die Ohren zu hauen. Ein Satz von ihm blieb mir besonders im Gedächtnis: „Alles, was mehr als 200 Kilogramm wiegt, das wäre besser ein Auto geworden.”
Zugegeben, Vollblut-Techniker Bajohr sah sämtliche Motorrad-Entwicklungen mit den Augen des Sportfahrers. Aber im Grunde hat er zweifellos recht. Ein leichtes Motorrad lässt sich in allen Bereichen müheloser bewegen, und was sich einfacher fahren lässt, das ist letztlich auch das bessere, weil fahraktivere und damit auch sicherere Konzept.
Mit seiner Lieblings-Marke Ducati wäre Bajohr heute bestimmt versöhnt. Ein radikales Konstrukt wie die Panigale hätte exakt seinen Geschmack getroffen, und weil er stets ein Freund der einfachen, effizienten Lösungen war, hätten ihm ganz besonders die aktuellen Monster-Typen gefallen. Geballte Kraft aus einem luft-ölgekühlten Zweizylinder und ein fahrbereites Gewicht von knapp über 180 Kilogramm. Selbstverständlich hätte es Bajohr in den Fingern gejuckt, dem Motor zusätzlich noch ein paar Pferdestärken zu entlocken, und gewiss hätte er noch ein paar Pfunde zum Abspecken gefunden.
Kürzlich fuhr ich mit der neuen BMW R 1200 GS. Nach Bajohrs Formel also ein Auto, weil mit vollem Tank und der heute üblichen Luxusausstattung 246 Kilogramm schwer. Doch bereits beim rückwärtigen Herausbugsieren aus der Parknische machte das Motorrad einen angenehm harmonisch ausbalancierten Eindruck. Keine Spur von Kippeligkeit oder kopflastiger Betonschwermut – Stichwort Moto Guzzi Stelvio – die einem das Gefühl vermittelt, bereits bei geringstem Schwenken des Motorrads aus der Lotlinie gäbe es kein Halten mehr.
Wenig überraschend auch, dass die neue GS beim Fahren alles richtig macht. Ein Motorrad zum Draufsetzen, wohlfühlen und viel Freude haben. Auch das vom Kollegen Maik Schwarz in einer Vorabwarnung kritisierte, weil in den kleinen Gängen laut zu schaltende Getriebe, empfand ich auf meiner Runde nicht als lästig oder gar störend. Die neue Ölbadkupplung produziert jetzt eben die von so gut wie allen anderen Motorrädern bekannte Restschleppkraft beim Ausrücken. Der erste Gang rastet deshalb mit einem Schaltschlag ein. Dieser akustische Makel hat allerdings auch einen Vorteil: Der erste Gang rastet jetzt auch wirklich ein und steht nicht unentschlossen widerwillig an, wie das oft bei den BMWs mit der bisher verbauten Einscheiben-Trockenkupplung beim Ampelstart der Fall war.
Bajohr hätte das Paket der Bayern jedenfalls gefallen, denn als Motortuner war er auch ein Freund spontan zupackender Zweizylinder. Und der neue Wasser-Boxer der GS schnalzt jetzt auch wegen der spürbar reduzierten Schwungmasse eine ganze Kante sehniger los, als das bislang bei der GS der Fall war.
Eines sollte auch nicht vergessen werden. Eine R 1200 GS ist ein wirklich großes Motorrad. Stellt man da heute einen alten Zweiventiler daneben, etwa eine R 100, dann sieht der Oldie im Schatten der GS schmächtig wie eine 500er aus. Und so eine nackte R 100 war seinerzeit auch kein Federgewicht, sondern brachte fahrbereit 220 Kilogramm auf die Waage.
Das Schielen auf den reinen Gewichtswert ist deshalb auch nur die halbe Wahrheit. Viel wichtiger ist, wie die Pfunde rund ums Motorrad verteilt sind. Und in dieser Beziehung gibt es heute im konstruktiven Ansatz einen wesent-lichen Unterschied zu früheren Zeiten. Damals gab es in aller Regel bereits einen fertigen Motor, um den ein Fahrgestell gestrickt wurde. Heute wird das ganze Motorrad vom Fahrer ausgehend gewissermaßen von innen nach außen gedacht und geplant. Die neue GS ist dafür ein gutes Beispiel. Um etwa die Sitz-position bestmöglich zu gestalten, war es von Anbeginn ein Planungsziel, den Motor kompakter und kürzer zu entwerfen. Nur mit derartiger Konsequenz lassen sich außergewöhnliche Ergebnisse erzielen. Bei Ducati, bei BMW und selbstverständlich auch bei jeder anderen Motorradmarke.

Viel Vergnügen mit unserem April-Saison-Eröffnungs-MO und unserem Themenschwerpunkt „Leichtbau” wünscht

Jo Soppa (Chefredakteur)
 

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