
Jo Soppa |
Volle Hütte
Der Boden bebt, zumindest in den Messehallen. Was sich auf der großen Herbstschau in Mailand ankündigte, lässt zumindest aus Motorradsicht auf ein höchst unterhaltsames Jahr 2014 hoffen. Ganz wichtig: Japan meldet sich auf breiter Linie zurück. Abgeschüttelt scheint die Schockstarre, die 2011 das ganze Land nach der Katastrophe vom Fukushima gelähmt hat. Wobei dieses Unglück unermesslichen Ausmaßes zwar vorbei, aber noch lange nicht überwunden ist.
So nichtig angesichts derartiger Bedrohungen der Tanz um die aus den Motorradwerken trabenden Neuheitenkälber auch erscheinen mag, so wichtig sind die antreibenden Rhythmen des Alltagslebens auf der Suche nach neuer, wenn auch geänderter Normalität. Wir dürfen an dieser Stelle allen Modell-Offensiven aus den Häusern Honda, Yamaha, Kawasaki und Suzuki vorbehaltlos applaudieren. Was da im Einzelnen auf die gespannte Motorradszene zukommt, erfahren Sie in der Neuheitenschau ab Seite 6.
Die vielleicht bemerkenswerteste Neuheit jedoch kommt aus Amerika, genauer gesagt aus Indien. Dort nämlich lässt Harley-Davidson sein komplett neu entwickeltes, wassergekühltes Budget-Modell mit 500 und 750 ccm großen V-Twins produzieren. Zu allererst geschieht das für jene Märkte, die wir hier etwas despektierlich unter der Überzeile „Schwellenländer“ handeln. Tatsächlich geht im südost-asiatischen Raum nicht nur motorradmäßig derart die Post ab, dass der Begriff „Dritte Welt-Land“ heute mehr auf große Teile von Nordamerika, als für diese von jungen, umtriebigen und tüchtigen Menschen dominierten Regionen zutreffen mag.
Auch aus bundesdeutscher Sicht verliert man da mitunter leicht den Maßstab. Zwar ist der hiesige Motorradmarkt mit seinen insgesamt rund 100000 Einheiten per anno immer noch eine wichtige Landmarke im europäischen Geschäft, aber man sollte sich zugleich auch klar machen, dass dieses Volumen ein einziger Hersteller locker bedienen könnte.
Entsprechend deutlich werden die Verteilungskämpfe zutage treten, die bei der Vielzahl an Anbietern und vor allem Modellen hierzulande in den kommenden Monaten anstehen. Der Handel darf sich auf ein heißes Frühjahr freuen.
Bei gut vier Millionen Motorradfahrern in Deutschland spielt die große Musik freilich im Bestand. Das spiegelt sich auch in dieser MO-Ausgabe wider. Neben den Neuheiten aus Japan und der restlichen Welt zeigen wir in dieser Dezember-Ausgabe auch ganz private japanische Spezialitäten. Aufgebaut wurden diese Motorräder auf günstigen Gebrauchtmodellen, was sie im Endergebnis nicht minder attraktiv macht, als manchen neuesten Wetzhobel von der Stange. Aber sehen Sie selbst, ab Seite 18 eröffnen wir die große Schau der „Japan-Specials“.
Das alles ist guter, von Hand gemachter Stoff, der ebenso zum händischen Fahren ohne Netz und doppelten Boden einlädt. Denn auf der anderen Seite der Straße, in den Auslagen der Motorrad-Händlerschaft, warten heute zunehmend mit elektronischen Hilfssystemen ausgestattete Produkte auf die Kundschaft. Das alles macht das Fahrerlebnis zwar nicht schlechter, sondern aus dem Blickwinkel des Technikers vor allem eines: sicherer. Emotional geht dem einen oder anderen möglicherweise im alten Mensch-Maschine-Spiel ein Stück weit das direkt ans Geschehen angekoppelte Gefühl verloren. Und wer sich den Weg der digitalen Möglichkeiten bis ans Ende vorstellt, der landet zwangsläufig nach dem vollautomatisch selbst fahrenden Vehikel beim rein virtuellen Erlebnis in einer neuen Cyber-Parallelwelt. Die einzige Gefahr, die dann droht, ist ein Stromschlag aus dem überlasteten Computer.
Wenn ich Sie jetzt mit meiner Zukunftsvorschau ein wenig betrübt haben sollte, dann will ich Ihnen noch eine andere Neuheit für 2014 verraten: Brough Superior ist zurück. Jene legendäre englische Marke, die in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg als „Rolls Royce der Motor-räder“ galt, präsentierte sich in Mailand so klassisch, wie man sich nur klassisch präsentieren kann. Und wenn diese Perle nicht so ganz zu Ihrem Geldbeutel passt, dann habe ich noch eine frohe Botschaft: Yamaha bringt die SR wieder. Mit Einspritzung und 400 ccm Hubraum. Die Zukunft braucht eben doch immer ihre Vergangenheit.
Beste Unterhaltung mit einer
gut angewärmten MO-Ausgabe
im kalten Dezember wünscht
Jo Soppa
Chefredakteur
Jo Soppa (Chefredakteur)