Brixton Cromwell 1200

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Druck aus dem Keller. Brixton wird auf einmal groß

Österreich und die 1222: Was nicht weit weg ist von der Feuerwehr-Kurzwahl unserer Nachbarn aus dem Süden, ist alles andere als ein verzweifelter Notruf. Brixton setzt mit der großen Cromwell auf Hubraum. Auf zum Proberitt mit der schwarzen Lässigkeit

Man muss sie einfach lieb haben, die Österreicher. In jedem Fall gebührt ihnen Respekt, den Buam und Madeln aus Krems. Gerade einmal eine Handvoll Jahre ist es her, da wurde die erste Brixton präsentiert. „Damals“ und mangels Ressourcen noch zur Untermiete auf einem Mailänder Messestand, sorgte das Konzept für eine gewisse Konfusion, doch mehr noch für Aufmerksamkeit. Ein fremdes Rezept aus englischem Namen, asiatischer Fertigung und europäischem Design wurde von einem österreichischen Management unbeeindruckt und geradlinig zusammengebracht. Jene, die von hemdsärmelig sprachen, wurden fix eines besseren belehrt. Brixton-Motorräder, wenn im ersten Schub auch nur im Achtelliter-Hubraum-Kosmos, funktionierten von Tag eins an und fanden dank einem breit streuenden Vertriebsnetzes schnell positive Verbreitung. Im Rekordtempo wurden die Charts geentert. Eine Cromwell 125 liegt aktuell in den Verkäufen auf Augenhöhe mit Topsellern vom Schlage einer 125er Duke. Wow die erste.

Und während die Welt so langsam Notiz nimmt von den unbekümmerten Österreichern, steht auch schon die erste Vollwertmaschine in den Läden. 500 Kubikzentimeter, Zweizylinder, 48 PS, klasse Design. Nun wird es wohl aber mal gut sein mit dem Vorstoß der Kremser mit gallischer Mentalität, dachten die meisten. Das Gegenteil war der Fall. Ob mit oder ohne Zaubertrank sei dahin gestellt, Brixton, unter der strategischen Leitung der KSR Gruppe, hatte den Schalter bereits voll umgelegt und enthüllte 2021 die volle Cromwell-Eskalation. 1222 ccm. Nur fünf Jahre, nachdem die erste Brixton mit weniger als zehn Kilowatt ausgeliefert wurde, steht vor uns ein in Eigenregie entwickelter Mehrzylinder-Roadster der Oberklasse. Wem die Strategie der findigen KSR-Mannschaft entfallen ist, der darf jetzt im heimischen MO-Archiv zurück in den Herbst 2020 blättern, als Mastermind Michael Kirschenhofer die Marschrichtung ausgab.

 

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Später Herbst – I love you. Die Große Brixton als emotionaler Beschleuniger

Jetzt aber zum Gerät. Auch wenn die Machart der großen Cromwell einen ausführlichen Rundgang verdient hat, die Neugier auf das Wummern der 1200er ist größer. Der konventionelle Schlüssel gibt den Startvorgang frei. Und los. Der runde Schlag des Reihenmotors passt bestens zur unaufgeregten Styling-Botschaft. Deutlich lebendiger als ein schleichender Lastenkahn, aber im Charakter einem Schiffsantrieb nicht unähnlich, geht es im Kurbelgehäuse ausgewogen auf und nieder. Mit weniger als 100 Millimeter Bohrung (genau 98,6) für die starken 1200 Kubikzentimeter geben sich die Techniker hinter der Cromwell zwar nicht bescheiden, entsagen aber dem Leistungswettkampf. Auf den ersten Blick nicht unähnliche Eisen vom Schlage einer Indian FTR oder Sportster-Harley sind schärfer ausgelegt und spielen in Folge solide in der Plus-100-PS-Liga. Brixton geht dafür mehr als nur zielstrebig in Richtung Triumph. Deren Bonnie schaut aus gutem Grund verstört auf den englischen Roadster-Ansatz aus Österreich. Wir kürzen den Vergleich ab. Denn auch im Hause Brixton streitet niemand ab, ohne Seitenblicke unterwegs zu sein.

 

Auf der sehr bequemen Lederbank fühlt sich das Cromwell-Triebwerk nach einem routinierten Mittelstrecken-Läufer an. Die Kräfte werden gut eingeteilt. Weder von enormer Spritzigkeit aus dem Stand gesegnet, noch wild drauf los prügelnd in der Drehzahlspitze, die Heimat der großen Brixton ist die Mitte. Halten Sie sich einfach immer zwischen 2000 und 5000 Touren auf, und Sie sind ein zufriedener Mensch, bitte und danke. So die Botschaft des Motors, der auch mit der milden 10:1-Verdichtung seinen Nicht-Angriffspakt bekundet. Die Gefahr, am Lenker einzunicken, besteht dabei zu keinem Zeitpunkt. Die über 100 Nm, die der von einer obenliegenden Nockenwelle angetriebene Vierventiler bei sehr frühen 3000 Touren in die Lager stemmt, sorgen stets für einen wachen Geist. Sich vom massivst ausschauenden Herzstück der Cromwell druckvoll, aber nie brutal übers Land ziehen lassen, dürfte für viele Motorradler eine ideale Powerdosis bedeuten. Von der vollen Punktzahl bleibt der erste Brixton Big-Bike-Antrieb aber zwei Stufen entfernt. Zum einen zeigt sich die Sechsgang-Schaltbox zwar gut gestuft und sicher rastend, in Sachen Bedienung bewegt sich das Getriebe aber in der knorrigen Mittelklasse.

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Der klassische Name verführt, das Design beruhigt, die Technik überzeugt. Brixton ist im Spiel

Noch gravierender als das rustikale Gefühl am linken Stiefel ist die nicht optimale Gemischabstimmung des Motors. Ob im Teil- oder Volllastbereich, der Drehgriff fühlt sich stets entkoppelt vom schönen Triebwerk an. Auch wenn die Leistung ab Leerlauf ohne jedes Loch abgerufen wird, die Rückmeldung ist nur für sehr, sehr ruhige Zeitgenossen fühlbar. Zwar spricht der Motor in der wählbaren Sportprogrammierung knackiger an, doch das Gefühl der zu langen Gasleine bleibt übers gesamte Fahrerlebnis erhalten. Am grundsätzlich tollen und sehr stimmigen motorischen Auftritt ändert das nichts. Denn eine Abstimmung an der Einspritz-Peripherie lässt sich wesentlich leichter korrigieren, als eine vermurkste mechanische Grundauslegung.

Zu dieser Lässigkeit gesellen sich auch die weiteren Disziplinen der großen Brixton Cromwell. Dank niedrigem Schwer- und Sitzpunkt lässt sich der mit vollem Stahlblechtank fünf Zentner schwere Roadster gut handhaben. Was nichts daran ändert, dass auch soliden Mannsbildern beim Rangieren gelegentlich ein Seufzer entkommt. Zwanzig Kilogramm weniger wären schön.

So oder so, die Cromwell liegt tadellos. Mit einem Radstand exakt zwischen Sportler und Supertourer ist Brixtons Flaggschiff gut austariert. In Wahrheit macht die 12er auf drittklassigen Pisten und autobahnähnlichen Abschnitten eine gute Figur. Weder wieselflink, noch betoniert, die Cromwell fährt mit realistischem Kraftaufwand überall hin. Unauffällig und schlicht funktional präsentiert sich das dynamische Beiwerk in Form von Federelementen und Bremsausstattung.

Hier lange Sätze zu formulieren wäre verschwenderisch. Wir komprimieren dieses Kapitel, geben die Notizen „solide bis leicht unterdämpft“ und „ausreichend vehement“ ins Heft. Final schlüssig wird der Ritt – die Österreicher nennen es Partie – über eine erstaunliche Ergonomie. Erstaunlich, weil hier überhaupt nichts nicht passt, so, als würden in Krems seit Jahrzehnten ultrasensible Yoga-Meister zum Modellierschaber greifen.

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Simple ist best. Die unaufgeregte Cromwell fordert ein Relax-Outfit. Knappe Schale, Ray Ban, Fuel Rodeo-Handschuhe. Beflügelt die Aufnahme von Wind und Wetter. That‘s it. Oder wie der Österreicher sagt: passt

Fazit: Das rundum vertraute Sitzgefühl sowie die wenig verspielte Bedienbarkeit des gesamten Brixton-Materials erzeugen ein angenehmes Gefühl von Natürlichkeit. Wer sich für den großen Schlegel aus dem Nachbarland entscheidet, der wird im täglichen Umgang schnell Gefallen finden an der geschliffenen, aber doch mit klarem Profil geformten Maschine. In Zeiten wie diesen enden Betrachtungen meist mit der Frage „was kostet der Spaß?“ Brixton gibt die Antwort mit einem hart kalkulierten vierstelligen Betrag von 9999 Euro. Das letzte Wow nach einer ganzen Salve von starken Cromwell-1200-Argumenten. Liebe Leut im Alpenland, die MO-Redaktion salutiert vor Eurer Großen: Ein schönes, ein gutes, ein relevantes Kraftrad habt Ihr zum Leben erweckt.

 


Text: Thomas Kuttruf