Honda Super Cub

02 You Meet The Nicest People

Soichiros Weltwunder: das meistverkaufte Motorfahrzeug der Welt

Das meistverkaufte Motorfahrzeug der Welt gelangte in Deutschland erst Ende 2018 in den Verkauf und lief (wegen Euro 4) nach zwei Jahren wieder aus. Mitte 2022 kehrte das Neo-Retro-aufgezwirbelte Leichtkraftrad mit Euro 5-Zulassung und als Zweisitzer aufgerüstet zurück. Grund genug, die spezielle Historie der Honda Super Cub zu würdigen

Es liegt in der Natur der Dinge und im Mysterium des Universums, dass motorisierte Zweiräder direkt ins Herz fahren. Meist mit Highspeed, Schräglagen, Sound und begeisternder Technik. Hondas Super Cub hingegen ragt als simple Mobilitätslösung aus der Masse heraus. Das bescheidene Vehikel wird seit über 60 Jahren verkauft und hat es zum erfolgreichsten Motorfahrzeug der Welt gebracht. Die kumulierten Produktionszahlen übertreffen selbst Legenden wie VW Käfer (21,5 Mio.) und Ford T (15 Mio.) zusammen um mehr als das Dreifache. Das Jubiläum mit unfassbaren 100 Millionen Exemplaren wurde bereits 2017 gefeiert, inzwischen dürfte die Gesamtproduktion über 120 Millionen erreicht haben.

Die Produktion der Super Cub begann im August 1958 im Werk Yamato nördlich von Tokio. Die Company von Gründer Soichiro Honda war damals zehn Jahre jung. Ziel war, nützliche Mobilitäts-Eigenschaften im Alltag mit einfacher Bedienung zu verknüpfen, dazu kostengünstig, zuverlässig und sparsam zu sein. Das Drei-Letter Kürzel Cub umschrieb den Einsatzzweck ebenso trefflich wie kurz und bündig: „Cheap Urban Bike“.

Honda Super Cub C125
Die Ur-Super Cub CC 100 von 1958. Die Vorderradführung orientierte sich an der Körpersprache eines Straußenvogels aus dem Disney-Trickfilm Bambi

Die Nachfrage überflügelte alle Erwartungen und war auf eine Reihe von Merkmalen zurückzuführen. Die robuste Langlebigkeit des 4,5 PS starken 50-ccm-Viertaktmotors (im Gegensatz zu gängigen Zweitaktern), eine Fliehkraftkupplung, die die Bedienung vereinfachte, das Design mit dem Durchstiegsrahmen sowie großem Beinschild als Schutz vor Fahrtwind und Regen. Auf erstaunliche Verkäufe im Inland folgten Erfolge im Export, zuerst in Amerika und schließlich im asiatischen Raum. In Varianten mit 50 und später 65, 70, 90, 100, 110 und 125 ccm Hubraum sollte die Super Cub über Jahrzehnte rund um den Globus gefertigt und verkauft werden. In Regionen mit Entwicklungsbedarf bestimmen die preiswerten Flitzer bis heute das Straßenbild und sind für die Mobilität von Millionen Menschen von Bedeutung.

 

Legendäre Geschichten mit sechsstelligen Laufleistungen ranken sich um die Zuverlässigkeit. Es gab sogar (britische) TV-Ungustl, die eine alte Super Cub mit Frittieröl betrieben, hemmungslos Frachtgut aufpackten, vom Hochhaus stürzen ließen und ins Meerwasser warfen. Natürlich ließ sich das arme Ding nicht umbringen, sondern stellte auch hier seine Unkaputtbarkeit unter Beweis.

2018 präsentierte Honda eine modernisierte 125er Super Cub im Retro-Look. Mit Gussfelgen, Scheibenbremse, Smartkey-System und LED-Lichttechnik. Damit schlug man ein weiteres Kapitel auf, denn die C125 als Einsitzer und mit Euro 4 sollte auch in europäischen Märkten ins Programm rücken, denen frühere Super Cub-Modelle vorenthalten blieben. So auch in Deutschland. Zielsetzung: Usern mit einen Faible für Retro-Design eine ansehnlich-fashionable Lösung zur individuellen Mobilität in urbanen Bereichen anzubieten.

Das Ur-Modell der Super Cub mit 4,5 PS starkem 50er-Motor entstand unter der Leitung von Soichiro Honda. Der begnadete Technikus hätte eigentlich lieber ein ausgewachsenes Motorrad oder gleich eine Rennmaschine gebaut, um die Leistungsfähigkeit seiner aufstrebenden Firma unter Beweis zu stellen. Takeo Fujisawa, das Verkaufsgenie an seiner Seite und später Vizepräsident, überzeugte ihn jedoch, vorher ein leichtes und praktisches Transportmittel zu entwickeln. Mr. Honda würdigte die bedeutende Rolle für den Erfolg des weltgrößten Motorradherstellers in seinen Memoiren mit dem Hinweis, dass auf den Tanks der Maschinen eigentlich der Doppelname Honda-Fujiwara seine Berechtigung gehabt hätte.

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Genies mit Weitblick: Technikus Soichiro Honda und Verkaufs- und Organisationstalent Takeo Fujisawa (rechts) hatten den richtigen Riecher. Die Super Cub als Mobilitätslösung entwickelte sich zum Bestseller — weltweit

Kennzeichend für die Super Cub waren große Räder, Pressblechrahmen mit Durchstieg sowie der Ansatz zu Wind- und Wetterschutz. Vom Motor war kaum etwas zu sehen. Geboten wurde dafür eine aufrechte Sitzposition sowie eine Lackierung in Hellblau/Dunkelblau sowie als Farbtupfer eine rote Sitzbank.

Leise, sparsam und effizient sollte der Antrieb ausfallen, deshalb kam nur ein Viertakter in Frage. Weitere Vorgaben: kein Kupplungshebel und einfache Bedienung. So wurde ein fußgeschaltetes Dreiganggetriebe mit automatischer Fliehkraftkupplung konstruiert. Die Größe der Räder betrug 17 Zoll, damit sollte ein komfortables Abrollverhalten auf den (damals) rumpligen japanischen Straßen und Feldwegen erzielt werden.

Als die Japaner 1959 den Export nach Amerika in Angriff nahmen, wurde die Super Cub mit der legendären Kampagne „You meet the nicest people on a Honda“ beworben. Der Verkaufspreis betrug anfänglich 245 Dollar. Die kleine Honda trug dazu bei, das Image von Zweiradfahrern in neues Licht zu stellen und sozialverträglicher zu gestalten, was der Ausgangspunkt dafür war, Motorräder als Hobby und für die Freizeitgestaltung zu akzeptieren. Zuvor wurde Motorradfahren eher mit Rockern, zwielichtigen Biker-Gangs und Outlaws assoziiert. Kurzum: Die Super Cub war damit auch Wegbereiter für die Erfolge, die später mit Bikes größerer Hubräume erzielt werden konnten – was wiederum als Trend sogar bis nach Europa schwappen sollte.

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Legendäre Printwerbung: So ebnete Honda Anfang der 60er Jahre in Amerika der Super Cub den Verkaufserfolg. Gleichzeitig wurde das böse Biker-Image korrigiert und der Boden bereitet für spätere Big-Bikes, um Motorradfahren als Hobby salonfähig zu machen — ein Trend, der bis nach Europa schwappte

Als die Beach Boys 1964 den Hit „Little Honda“ spielten („First gear, it‘s all right – second gear, I‘ll lean right – third gear, hang on tight“), war das unscheinbare Gefährt noch mit der anfänglichen Drei-Gang-Halbautomatik ausgerüstet. 1964 begann der Super Cub-Export nach Südostasien. Der anhaltende Erfolg prägt bis heute das Transport- und Verkehrswesen in zahlreichen Ländern, weil niemand eine genialere Mobilitätslösung anzubieten hat. Bisher wurde die Super Cub in 16 Honda Fabriken in 15 Ländern gebaut sowie weltweit in 160 Ländern verkauft. Als 1958 die Fertigung begann, waren zunächst 30 000 Einheiten pro Monat veranschlagt, was bereits eine erstaunliche Zahl darstellte. Denn zu jener Zeit produzierte die gesamte japanische Motorradindustrie 40000 Einheiten pro Monat. Dennoch musste die Super Cub-Produktion im Laufe der Jahre immer wieder erhöht und der Nachfrage angepasst werden. Arbeiter, Hausfrauen wie Spazierfahrer sicherten damit ihre Mobilität ohne technische Probleme oder große Kosten.

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Kreativ: Als praktische Mobilitätslösung für alle pries Honda in Japan die Super Cub auf vielfältige, künstlerisch wertvolle Weisen an

In der Autobiographie „Honda über Honda“ schrieb der Gründer später: „Die Super Cub wurde ein Bestseller. In Japan wird alles ins Haus geliefert, die Zeitung, die Milch, die Mahlzeiten, die Post. Fast alle Lieferanten fuhren damit und wurden unsere besten Werbeträger. Wir konnten uns darauf verlassen, dass frühmorgens unsere Honda als erste vor jedem Haus erschien. Auch Japans 15 453 Mittel- und Oberschulen benutzten übrigens die 50er Super Cub zur praktischen Ergänzung des Unterrichts über Technik und Verkehrsbestimmungen. Spaßvögel sagten schon, dass die Japaner vielleicht zwei Beine, aber bestimmt eine Honda hätten.“

Super Cub-Designer Jozaburo Kimura war im November 1956 der erste Industrie-Designer, der bei Honda anheuerte, dabei zählte die Company bereits 2500 Mitarbeiter. Da er noch an der Universität immatrikuliert war, einigte man sich darauf, dass er nach dem Abschluss seine Arbeit aufnehmen würde. Es dauerte jedoch nicht lange, dass die Personalabteilung sich meldete und anfragte, ob er nicht früher ins Berufsleben einsteigen wollte, seine Fähigkeiten würden benötigt und auch ohne akademischen Abschluss geschätzt. So nahm Kimura unverzüglich seine Arbeit auf, verfolgte seinen Abschluss an der Uni parallel weiter und brachte dies nach einem Jahr auch erfolgreich zu Ende.

Bei Honda gab es zwar keine eigenständige Design-Abteilung, aber einen 30 Quadratmeter großen „Modelling Room“. Darin wurden Prototypen aus tonähnlicher Knetmasse im Maßstab 1:1 angefertigt. Die Teams dafür waren Entwickler, Techniker und Arbeiter, meist angeführt von Mr. Honda selbst. Kimuras erste Tätigkeit war die Umgestaltung des Raumschilds im „Design-Room“. Weil es um mehr ging als nur modellieren, nämlich technischen Objekten eine Form zu verpassen, die funktionell wie auch ästhetisch überzeugen sollte.

Im April 1957 startete das Projekt des 50er-Leichtmotorrads. Kimura erhielt das Holzmodell eines Einzylindermotors, der seit Januar in Entwicklung war. Dazu wurde ihm das Maß von 17-Zoll Rädern ans Herz gelegt, weil viele Straßen und Wege in Japan unbefestigt waren und große Räder besser abrollten, was der Fahrsicherheit zu Gute gereichen sollte.

Der Jungdesigner entdeckte in einer britischen Fachzeitschrift das Durchstiegsprinzip, bei dem der Raum zwischen Vorderrad und Bodywork einfach frei blieb. Gleichzeitig erzielte ein Plastikzulieferer große Fortschritte, was ebenso willkommen wie notwendig war, weil Honda zuvor mit dem Juno-Roller und ersten Kunststoff-Bauteilen arge Probleme erlebt hatte. So konnte das Super Cub-Beinschild aus Spritzgusskunststoff gefertigt werden, was zur speziellen Formgebung eine leichte und kostengünstige Bauweise ermöglichte, in Kombination mit dem Blechpressrahmen.

Für die Räder stand erst ein Radstand von 1500 Millimetern im Raum. Kimura scribbelte diverse Vorderradführungen. Weil die Proportionen nicht passten, reduzierte er den Radstand zuerst auf 1200 Millimeter und schließlich auf 1180 Millimeter . Mit den Detail-Sketches ging es schließlich in den Design-Room, um mit Knetmesse um Holzmotor und Räder weiter zu arbeiten. Einen kompletten Entwurf der Super Cub auf Papier hat es nie gegeben. Nur eine vage Vorstellung, die Stück für Stück weiter komplettiert wurde, entlang den Vorgaben. So wurde bei Honda damals Fahrzeugentwicklung betrieben, direkt am Objekt.

Founder, Soichiro Honda On A Super Cub (at Memorial Ceremony In
Ideengeber Soichiro Honda auf einer Super Cub bei einer Festveranstaltung in 1971

Mitunter krempelte auch der Boss die Arme hoch und modellierte an Knetmassen herum oder verwarf das in Entstehung befindliche Modell kurzerhand komplett. Dann wurde halt wieder ganz von vorne angefangen.

Gleichzeitig prasselten Vorgaben auf den Cub-Designer ein. Soichiro Honda forderte leichte Beherrschbarkeit, damit die Auslieferungsfahrer japanischer Nudel-Shops einhändig fahren konnten, weil diese ihre Esswaren auf der Schulter auftürmten und mit dem linken Arm abzustützen pflegten. Takeo Fujisawa äußerte den Wunsch nach charmanter Formgebung und nicht sichtbarer Technik, damit auch Frauen sich trauen würden, mobilisiert umher zu flitzen. Dafür musste der Motor abgedeckt und nicht mit freiem Auge zu sehen sein.

Soichiro Honda wollte unbedingt 4 bis 4,5 PS Leistung herausquetschen, was nicht ohne Anstrengung vonstatten ging, schließlich schaffte seine erste 50er wenige Jahre zuvor gerade eine halbe Pferdestärke. Um die einhändige Fahrbarkeit sicher zu stellen, entwickelte der Technik-Pfiffikus eine automatische Fliehkraftkupplung, mit fußgeschaltetem Dreigang-Getriebe. Die leichte Bedienung – einfach Gas geben und hin und wieder die Gänge sortieren – ist bis heute typisch für die Super Cub, zusätzlich zur Optik. Denn zu tiefem Sitz und flachem Lenker spendierte Kimura eine aufrecht-bequeme Sitzposition, ausgewogene Proportionen mit glatten Flächen und sanften Übergängen.

Im Disney-Zeichentrickfilm Bambi gibt es eine Szene, in der ein Straußenvogel aus vollem Lauf stoppt und die Vorderläufe nach vorne durchstreckt; diese Body-Language wirkt entschlossen, aber gleichzeitig charmant. Ergo wurde diese freundlich-robuste Anmutung bei der Gestaltung der Pressstahlgabel mit geschobener Kurzschwinge sowie hoch angesetztem Scheinwerfer reproduziert. Die Farbkombi aus Hellblau und Dunkelblau für das Bodywork schaute Kimura der Natur ab; dafür genügte es, den Blick auf Meer und Himmel zu richten.

Für den roten Sitz sind zwei Erklärmodelle überliefert: Einmal der Kinofilm „Summertime“ mit Katherine Hepburn, in dem eine rote Lichtspiegelung in venetianischem Glas den Designer wohl nachhaltig beeindruckte; zum anderen die Allusion, wie in der Biologie einen bunten Kontrapunkt aus blauen Venen und roten Arterien zu setzen.

Honda Celebrates 100 Million Unit Global Production Milestone Fo
Am 19.10.2017 lief die 100-millionste Super Cub vom Band. Hier das Werk in Kumamoto

Die Ur-Super Cub hatte 50 ccm, hieß aber Super Cub CC 100. Weitere Versionen wie C 100, C 102, C 110 und C 240 folgten. Wobei man durchaus von undurchsichtigen Zahlensalat sprechen darf. C 105 hieß später eine Super Cub mit 55 Kubik. Immerhin folgten in späteren Jahren Modelle wie die C 65 mit 65 ccm, C 70 mit 70 ccm und C 90 mit 110 ccm. Aktuell bietet Honda die Super Cub auf dem heimischen Markt in Japan in fünf Ausführungen mit 110 beziehungsweise 125 ccm an (sogar im Offroad-Look oder mit großem Einkaufskorb über dem Vorderrad), dazu drei 50er-Modelle. Eigentlich sprengen die Verkaufszahlen der kleinen Honda jedes Vorstellungsvermögen. Und seit über sechs Jahrzehnten hält die Erfolgsstory bis zum heutigen Tag an.

Kumulierte Verkaufszahlen


Text: Gerhard Rudolph