Perle Yamaha V-Max

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MAD MAX – maximale Show, maximaler Kult mit 200 PS

Die Yamaha V-Max ist schon ziemlich verrückt: maximale Power, maximale Show, maximaler Kult. Aber nach über 30 Jahren Marktpräsenz ist sie nun endgültig Geschichte. Sie hat nie in eine Schublade und zum Schluss als 200-PS-Dragster auch nicht mehr in unsere Zeit gepasst. Von vielen wird sie gerade deshalb schmerzlich vermisst und in Ehren gehalten

Begonnen hat die Geschichte der V-Max Anfang der 1980er Jahre, als Akira Araki, Projektleiter bei Yamaha, die Idee zu einem Motorrad hatte, mit dem jeder Dödel bei den in den USA beliebten illegalen Sprintrennen über die Viertelmeile seine Gegner abledern kann. Araki griff dafür auf den flüssigkeitsgekühlten V4-Motor aus dem Yamaha Supertourer XVZ 12 Venture zurück. Die moderaten 90 PS des 1,2-Liter-Tourers wurden in der V-Max unter anderem mit Hilfe des so genannten V-Boost-Systems auf 140 PS erhöht. Der V-Booster sorgt dafür, dass bei hohen Drehzahlen jeder der vier Zylinder des DOHC-Vierventilers über gleich zwei der vier Fallstromvergaser mit Frischgas versorgt wird. Damit war die V-Max das stärkste Serienmotorrad der Welt, als sie 1985 auf den US-Markt kam.

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V-MAX Urmodell aus 1985

Damals ein Hammer, heute dagegen reißen die Eckdaten kaum noch jemanden vom Hocker. Mit 140 PS, Diagonalreifen, eigenwilligem Stahlrohrrahmen, zierlichen Standrohren und einer konventionellen Schwinge ist die Ur-Max inzwischen aus der Zeit gefallen.

Trotz 262 Kilogramm Trockengewicht beschleunigte sie lange Zeit alles in Grund und Boden. Nach Deutschland wurde die V-Max wegen der damals bei uns gültigen freiwilligen Selbstbeschränkung der Hersteller auf 100 PS erst einmal nicht geliefert. Erst zehn Jahre später, als schon tausende grau importierte V-Mäxe deutschen Asphalt malträtierten, kam sie dann auch offiziell – anfangs ohne V-Boost und mit nur 98 PS. 2004 war dann schon wieder Schluss mit dem Verkauf in Europa – zwei Jahre später auch in den USA. Weltweit wurden von dieser ersten Version rund 150 000 Einheiten verkauft.

Aber das war noch nicht das Ende der V-Max, Yamaha hatte nur eine kreative Pause eingelegt. Die war auch nötig, denn Mad Max I. war im neuen Jahrtausend vor allem fahrwerkstechnisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Außerdem beeindruckten 140 PS die Fans lange nicht mehr so sehr wie noch zwanzig Jahre zuvor.

2009 kam der Nachfolger, den jeder – auch in Deutschland – kaufen konnte, wenn er denn nur schnell genug seine Bestellung abgab. Und die Nachfrage war hoch, denn die Ingenieure um Projektleiter Hajime Nakaaki hatten ein komplett neues Bike auf die Räder gestellt, bei dem ausschließlich geklotzt und nicht gekleckert wurde. Von der Ur-Max waren nur noch die Silhouette und die Motorkonfiguration geblieben, das radikale Design und die komplette Technik dagegen waren vollkommen neu. Alles größer, alles martialischer und vor allem stärker: Die V-Max eroberte sich mit 200 PS den Titel „stärkstes Serienmotorrad der Welt“ zurück und steht mit diesem Wert auch heute noch in den Top Ten – genauso wie mit ihrem maximalen Drehmoment von 167 Nm.

V-Max Piloten verlieren nur äußerst selten ein Sprintduell an der Ampel

Um dieses Ziel zu erreichen, haben die Techniker den Hubraum von 1,2 auf 1,7 Liter erhöht und den Motor von Grund auf neu konstruiert.

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Ein Triebwerk, das voll im Saft steht: V4, 1,7 Liter Hubraum, DOHC, 16 Ventile, Fallstrom-Einspritzung, Schmiede-Kolben, 200 PS, 167 Nm

Er strotzt nicht gerade vor Innovationen, aber glänzt mit aufwändigen Details wie etwa Schmiede-Kolben und Crack-Pleuel sowie andere von den Yamaha-Supersportlern übernommene Goodies. Für leistungsfördernden Staudruck in der mächtigen, auf doppelte Größe angewachsenen Airbox sorgen die großen Lufteinlässe neben der Tankattrappe. Natürlich hat auch bei der V-Max im 21. Jahrhundert die Elektronik das Kommando übernommen. Die Vergaserbatterie der ersten Mad Max-Generation ist einer elektronischen Benzineinspritzung gewichen, und auch das V-Boost-System hat einen Nachfolger gefunden: die elektronische Einlasssteuerung „Yamaha Chip Controlled Intake“. Das YCC-I besteht aus zwei übereinander angeordneten Sets von Ansaugtrichtern, die zusammen vier lange Trichter bilden, um für möglichst viel Power im unteren und mittleren Drehzahlbereich zu sorgen. Ab 6650/min hebt ein elektronisch gesteuertes Stellglied die obere Trichterbatterie hoch, und es entstehen vier kurze Trichter für maximale Performance im oberen Drehzahlbereich.

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Ein Auftritt, der im Gedächtnis bleibt: 1,70 Meter Radstand, freier Blick auf die Technik, mächtige Nüstern zum Atmen, Sitzbank mit Rückhalt für den Fahrer

Wer erwartet, dass die Motorleistung der V-Max deshalb bei dieser Drehzahl explodiert wie bei einem brutal einsetzenden Turbolader, der sieht sich getäuscht – dieser V4 hat vom Standgas bis zur Höchstdrehzahl eine nahezu lineare Kraftentfaltung. Zum Cruisen reichen Drehzahlen bis 4000/min, zur normalen Fortbewegung sind mehr als 5000 Touren selten nötig oder möglich. Unter diesen Umständen brabbelt und grunzt das Triebwerk wie der V8 eines amerikanischen Pickups vor sich hin. Ab 6000/min wandelt sich der Sound in ein Brüllen und der Vortrieb verlangt vom Fahrer Muskelschmalz in den Armen. Bei 9000/min liegen 200 PS an, der 200 Millimeter breite Hinterradreifen wimmert um Haftung, und der golfballgroße Schaltblitz über dem analogen Drehzahlmesser fordert unmissverständlich zum Hochschalten auf.

Das Beste: Mit der V-Max muss man nicht Jack Miller heißen, um in drei Sekunden von Null auf 100 km/h zu beschleunigen, auch wenn man auf die Unterstützung durch eine Traktionskontrolle verzichten muss. Immerhin nimmt die Elektronik in den ersten drei Gängen die Leistung ein wenig zurück, im fünften Gang beendet sie den Vortrieb bei 220 km/h, und nur im vierten Gang darf sich das Triebwerk ungehemmt austoben. Alles in allem schüttelt kein anderes Motorrad vergleichbare Sprints so lässig aus dem Ärmel wie die Yamaha. V-Max-Piloten verlieren deshalb nur äußerst selten ein Beschleunigungsduell.

Auch wenn es bei der V-Max eigentlich ausschließlich ums Geradeausfahren geht, haben sich die Techniker bei der Entwicklung intensiv mit dem Fahrwerk befasst. Auch hier hieß die Devise: alles neu! Mad Max bekam einen Leichtmetall-Brückenrahmen, eine Telegabel mit 52 Millimeter starken Standrohren sowie eine Leichtmetallschwinge mit Zentralfederbein. Im Vorderrad beißen radial montierte Sechskolben-Bremszangen, und auf die 18-Zoll-Räder kamen moderne Radialreifen. Nicht nur bei Rahmen und Schwinge wurde versucht, Gewicht zu sparen, auch die Lufthutzen sind aus Aluminium gefertigt, die Schalldämpfer sogar aus Titan sowie das Kardangehäuse und einige Motordeckel aus Magnesium. Trotzdem legte die V-Max in der zweiten Generation 16 Kilogramm an Gewicht zu und wiegt trocken 278 statt vorher 262 Kilogramm. Damit bricht sie betriebsbereit locker die 300-Kilo-Grenze. Aber die Praxis zeigt, dass die Zentralisierung der Massen und die Verwindungssteifheit des Fahrwerks viel entscheidender für die Fahrbarkeit sind als die Gewichtszunahme. Die Gewichtsverteilung hat sich spürbar Richtung Vorderrad verschoben – das verleiht ein besseres Feedback beim Einlenken und verhindert jedes ungewollte Wheelie bereits im Ansatz.

Wenn die Fuhre erst einmal rollt, dann fühlt man sich schnell wohl und wird selbst auf kurvigen Strecken mutiger. Ehe man sich versieht, kratzen die Fußrasten über den Asphalt – aber nicht, weil die Schräglagenfreiheit so bescheiden wäre, sondern weil das Motorrad verblüffend willig jedem Radius folgt. Da zudem dem Fahrwerk die Schwächen seines Vorgängers fremd sind und der Kardan seinen Dienst ohne wesentlichen Einfluss auf das Fahrverhalten leistet, kann man es bedenkenlos zügig angehen lassen. Selbst vor langen Bremswegen muss sich trotz des hohen Gewichts keiner fürchten: Wenn sich die Sechskolben-Mono-block-Zangen auf den 320 Millimeter großen Wave-Scheiben im Vorderrad festbeißen, bleibt kein Auge trocken. Die Anti-Hopping-Kupplung verhindert dabei wirksam das Stempeln des Hinterrads.Bjn56126

Dass es die V-Max im Winkelwerk trotzdem nicht mit Sportmotorrädern aufnehmen kann, dürfte wohl jedem klar sein. Auch dass sie kein Bike für den Tourenspaß zu zweit ist, versteht sich von selbst. Mit dem unter dem Fahrersitz versteckten 15-Liter-Tank sollte man sich nicht allzu weit von Zapfsäulen entfernen, und das erhöht positionierte Beifahrer-Sitzbrötchen signalisiert jeder Sozia „Lass es bleiben!“. Der Fahrer kann sich auch viel besser allein am irren Kraftüberschuss erfreuen.

Die Konkurrenten der V-Max lassen sich an einer Hand aufzählen: Neben den Kawasaki Eliminator-Modellen der achtziger Jahre waren dies die Harley-Davidson V-Rod, die Triumph Rocket 3 und die Ducati Diavel, die beiden Letztgenannten als einzige, die noch heute neu zu haben sind. Aber keine von ihnen hat je den Kultstatus der V-Max erlangt.

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So viel Power und Kult haben ihren Preis. Die zweite Generation der V-Max war im ersten Jahr für 19 750 Euro zu haben, ab dem Modelljahr 2010 kostete sie satte 22 995 Euro. Das Motorrad konnte ausschließlich online auf der V-Max-Webseite von Yamaha bestellt werden, Probefahrten für Interessenten waren nicht vorgesehen. 2018 war Schluss mit dem Vertrieb in Europa und 2020 auch in USA. Wer nun aber glaubt, heute auf dem Gebrauchtmarkt eine günstige V-Max mit 200 PS schießen zu können, der soll weiter träumen. Die Spanne reicht von mindestens 15 000 Euro für ein frühes Exemplar mit Kilometerstand 50 000 bis zu 20 000 Euro und mehr für eines der letzten Baujahre – meist mit rund 20 000 Kilometern auf der Uhr. Und es sieht aus, als würden die Preise eher steigen als sinken.


Bildergalerie:


Text: Knut Briel
Fotos: Archiv MO