2012-08 Leitartikel

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Die MO-Erlebniswelt

Motorrad-Erlebnisse lassen sich nicht kaufen. Man muss sie einfach selbst machen

Großes Feuerwerk, Beifall, Dankesreden. In diesem Sommer konnte ich mein 25-jähriges „MO-Dienstjubiläum“ feiern. Ein Vierteljahrhundert Motorrad-Journalismus, ein Vierteljahrhundert Motorrad-Technik. Das hört sich wichtiger an, als es sich in Wirklichkeit darstellt.
Mehr als die Technik haben sich die Motorradler selbst gewandelt. Das lässt sich beim Durchblättern alter MO-Ausgaben sofort erkennen, dazu muss kein Wort gelesen werden. Die Szene ist sichtbar in die Jahre gekommen. Da hilft im Gegensatz zum Motorrad-Oldie auch keine noch so gute Pflege. Motorrad, das ist heute ein Freizeit-Sport, dem zuvorderst die so genannten „Best Ager“ zugetan sind. Also all jene, die zu den geburtenstarken Jahrgängen der fünfziger und sechziger Jahre zählen. Das spiegelt sich in den Ansprüchen an ein neues Motorrad. Die Wünsche der Kundschaft lassen sich in drei Begriffe fassen: Komfort, Nostalgie und Sportlichkeit. Diese Reihenfolge ist auch eine Wertung in der Wichtigkeit. Komfort steht ganz vorne. Stichwort „Vollausstattungs-Mentalität“. Der Hersteller gewinnt, der die meisten Gimmicks auffahren kann. Dann die Nostalgie. Stichwort „Harley-Davidson“. Freiheit, Rebellion, Jugendlichkeit. Auch wenn es nur ein nettes Traumbild ist. Es tut gut. Der letzte Punkt, nämlich die Sportlichkeit, spielt auch noch hinein. Stichwort „Fit bis ins hohe Alter“. Wer sich mit 70 noch auf eine radikale Ducati Panigale zwingt, beweist sich und der Umwelt, dass die Spannkraft noch nicht völlig flöten gegangen ist.
Überflüssig zu erwähnen, dass die eigentliche Jugend, der allenthalben vermisste Nachwuchs, mit dieser Motorradszene nicht zu ködern ist. Die Jugend macht bekanntlich ihr eigenes Ding, und das hat durchaus mit zwei Rädern zu tun. Wenn auch etwas Entscheidendes fehlt, nämlich der Motor zwischen den Beinen. Dafür ist die Sache mit Freestyle-Akrobatik oder Downhill-Gefräse richtig schön prickelnd gefährlich. Ganz wichtig: Sie ist vor allem durch die Erwachsenenwelt so gut wie nicht reglementiert. Ein echtes Freiheits-Dorado. Noch.
Im Motorradbereich hat man dagegen beizeiten dem Nachwuchs durch frühes Kriminalisieren und Bürokratisieren aller Experimentier- und Erfahrungs-Erlebnisse den ominösen Spaß vergällt. Da frage nicht nur ich mich, ob sich eine Gesellschaft, die maßgeblich von der motorisierten Fortbewegung lebt, es sich überhaupt leisten kann, ihrem Techniker-Nachwuchs derart die Finger in der Zugangstür zu vital inhalierten Erkenntnissen zu quetschen. Scheinbar ja, denn andererseits ist es schwer zu verstehen, wenn bleichgesichtige Tastenjunkies, die es mit einer dämlichen Idee zum Internet-Milliardär geschafft haben, zu Ikonen der Moderne ausgerufen werden. Die Botschaft lautet: Scheiß drauf, was du machst, Hauptsache, es generiert viel Kohle. Und es ist digital.
Womit ich wieder bei 25 Jahren MO wäre. Stärker als die Motorräder hat sich nämlich in diesem Vierteljahrhundert auch die Medienlandschaft verändert. Die Zeiten, da ein Zeitschriftenverlag dank sprudelnder Werbeeinnahmen einer Lizenz zum Gelddrucken gleichkam, sind seit eben genau jenen 25 Jahren passé. Die allgemein wirtschaftlich verschärfte Situation der jüngeren Vergangenheit – Stichwort Eurokrise – hat die Sache nicht einfacher gemacht. Als Leser der einschlägigen Magazine haben Sie es an den Preiserhöhungen ablesen können. Wo Anzeigengelder fehlen, müssen die Heftpreise steigen. Steigende Heftpreise werden aber nur akzeptiert, wenn das Heft die Erwartungen des Lesers erfüllt. Sprich, jeder möchte am liebsten das ganz auf seine persönlichen Vorstellungen zugeschnittene Heft haben. Das wird zu einer noch schärferen Spezialisierung der Hefte führen. Die nächste Frage ist dann, ob diese spezialisierten Hefte wirtschaftlich funktionieren. Als recht schlank produzierender Verlag haben wir auf diesem Gebiet bereits seit etlichen Jahren wichtige Erfahrungen gesammelt. Stichwort „BMW Motorräder“-Sonderheft, das es bereits seit 1999 aus dem MO Medien Verlag gibt, und das trotz respektablem Heftpreis angenommen wird. Ein schöner Erfolg, der selbstredend Nachahmer auf den Plan ruft.
Trotz aller Krisen, eines ist ungebrochen: Der Erlebniswert, den ein Motorrad, ganz gleich ob Oldie oder flammneu, zu vermitteln vermag. Deshalb haben wir als zentralen Dreh- und Angelpunkt in dieses Heft den Schwerpunkt „Motorrad-Erlebnis“ für Sie eingebaut. Gezeigt werden die unterschiedlichsten Facetten, die sich unter dem großen Überbegriff Motorrad-Sport darstellen lassen. Dabei ist mit Sport nicht der Wettstreit, sondern die persönliche Einstellung zum Thema gemeint. Denn das ist Sport im ursprünglichen Sinn. Dabei müssen die eindringlichsten Erlebnisse nicht immer hart, unkomfortabel und schmerzhaft sein. Sie können es aber.
Lassen Sie sich animieren, begeistern, inspirieren. Denn die Erlebnisse sind es, für die wir unser Geld ausgeben sollten. So gesehen ist diese August-Ausgabe Ihrer MO ein mehr als preiswertes Vergnügen. Schließlich hoffe ich ganz eigennützig für uns beide, Sie als treuen Leser an dieser Stelle in 25 Jahren immer noch begrüßen zu dürfen.

Mit sportlichem Gruß

 

Jo Soppa, Chefredakteur

 

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