2013-03 Leitartikel

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Kraft aus der Mitte
Form follows function. Dieser Grundsatz gilt für luftgekühlte Motoren besonders

Technischer Fortschritt ähnelt mitunter einem Restaurantbesuch. Man hat Lust auf richtig gute Bratkartoffeln und dazu ein richtig gut gegrilltes Stück Fleisch, angereichert mit einer Kelle richtig gut zubereitetem Gemüse. Allein die Vorstellung treibt die Verdauungssäfte in den Mund. Doch auf dem Tisch landet schließlich ein mit Beiwerk aufgebrezeltes Sammelsurium aus dem Kabinett des geschulten Gastronomie-Profis, kredenzt mit viel Tamtam und Beiwerk. Gemüse und Kartoffeln wurden in der Mikro­welle schnell flott gemacht, mit ein wenig Petersilie auf frisch getarnt, das Fleisch mit greller Pfefferkorn-Gewürzsoße allzu effektheischend zugetüncht. Weil der Magen bereits in den Kniekehlen hängt, isst man alles tapfer auf, bezahlt und weiß, dass selbst der leidliche Hobbykoch in dir alles runder hinbekommen hätte.
Keine Frage, das Einfache kann mitunter höchst schwierig sein. Wirft man etwa einen tiefen Blick in das Restaurant mit Namen „Motorradmarkt”, dann gibt es dort auch viel Tamtam und sehr wenig geniale Einfachheit zu sehen. So wundert sich Kollege Guido Kupper zurecht, wenn er am neuen Kawasaki Naked Bike Z 800 erst einmal jede Menge Kunststoffblenden abschrauben muss, um zur funktionalen Technik vorzudringen. Dieser anscheinend unnütze Bauteileaufwand erstaunt umso mehr, wenn an anderer Stelle die üblichen Klagen zum Thema Herstellungskosten erschallen. Welcher Konstrukteur kennt sie nicht, die sprichwörtliche Unterlegscheibe aus sorgsam angefastem Edelstahl, die nicht verbaut wird, weil sie im Einkauf 2,7 Cent teurer ist als das simple Allerwelts-Stanzteil.
Die alte Designerformel, nach der die edle Form der Funktion zu folgen hat, gilt inzwischen nicht einmal mehr für Reifen. Denn das zwangsläufig Runde wird mit Profilbildern geschönt, die nicht nur Regenwasser aufnehmen sollen, sondern zu allererst beim Kunden das gute Gefühl unendlich griffigen Gummis wecken müssen. Wer fährt heutzutage auch schon im Regen?
Form follows emotion heißt deshalb die maßgebliche Devise der Designer unserer Tage. Das gilt umso mehr, je komplexer die Technik hinter der möglichst laut und eindrücklich präsentierten Fassade wird. Im Autobereich etwa werden die Motoren bereits seit Jahren unter einer pseudotechnischen Plastiktapete versteckt. Gerade so, als handele es sich um ein auf Originalgröße hochgezoomtes Spielzeugauto.
Viel Motor gibt es auch bei den meisten modernen Motorrädern nicht mehr zu sehen. Fast könnte man meinen, die Hersteller schämten sich dafür, dass sie noch altertümlich grummelnde Hubkolbenmaschinen und keine zischenden Wasserstoffturbinen im Sortiment haben.
In dieser MO-Ausgabe geben wir uns einmal mehr völlig unverkrampft klassischer Verbrennungstechnik hin. Und klassisch, das heißt luftgekühlt. Und luftgekühlt, das heißt Kühlrippen. Und Kühlrippen, das heißt noch „form follows function”.
Erfreulich, dass es nach wie vor noch reichlich Neuware mit Kühlrippen zu kaufen gibt. Doch es sind vor allem die strenger werdenden Abgasgrenzwerte, die den Luftgekühlten das Leben zunehmend schwer machen. Zumal dann, wenn sie das von den Kunden gewohnte und gewünschte Leistungsniveau halten oder gar weiter ausbauen sollen.
100 PS pro Liter Hubraum sind deshalb so etwas wie die Schallmauer, die für alles Luftgekühlte gilt, und die aus genannten Gründen zukünftig nach unten zu korrigieren ist. Man nehme etwa die neue Honda CB 1100, die trotz ausgefeilter Kühlrippentechnik noch für nominell 90 PS gut ist.
Ich sage an dieser Stelle ausdrücklich nicht „nur 90 PS”, weil Maximalwerte stets eine relative Größe sind, die in der Praxis eine eher untergeordnete Rolle spielen. Denn die Musik spielt immer in der Mitte, und dort zählt bekanntlich das, was ein Motor bei ganz hausbackenen Drehzahlen zu leisten im Stande ist. Wie er mit der Gashand spricht und wie das Motorerlebnis zwischen Steiß und Großhirnrinde zur Stimulanz hoch schäumt. Glücklicherweise spricht sich diese Erkenntnis jenseits der üblichen Testsieger-Beweihräucherungen immer mehr herum. Auch der gemeine Motorradkäufer ist inzwischen mündiger, als es manchen Meinungsmachern lieb ist.
Genau deshalb lesen Sie ja Deutschlands beste Motorradzeitschrift, mit der Sie sich auf den folgenden Seiten richtig Kühlluft um die Nase blasen können.

Mögen uns Kühlrippen-Motoren noch lange erhalten bleiben.

Jo Soppa (Chefredakteur)
 

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