2013-06 Leitartikel

Jo Soppa - Chefredakteur MO

Jo Soppa

Fruchtbar normal
Traditionelle Motorradwerte stehen derzeit im Mittelpunkt der Interessen

Vor 15 Jahren hieß das Zauberwort innerhalb der Motorrad-Branche „Spezialisierung”. Unverwässerte Konzepte waren gefragt, jede anvisierte Zielgruppe sollte bestmöglich glücklich gemacht werden. Den supersportlichen Fahrern gaben die Werke renntaugliches Material, den Geländefreunden echte Wettbewerbsware, und den Chopperfans wollten die Hersteller den kostspieligen Gang zum Customizer von vorneherein ersparen. Keine Kompromisse, das war die Devise unter den Produktplanern.
Diese an und für sich einleuchtende Vorgehensweise beim Motorradbauen hat sich in letzter Zeit gewandelt. Nutzerfreundliche Breitbandigkeit steht im Fokus. Die Werke möchte die Kundschaft nicht mit allzu angeschärften und möglicherweise auch überschärften Gerätschaften verunsichern – und damit letztlich vom Kauf abschrecken. Denn jedes spezielle Motorrad ist zugleich eine glasklare Gebrauchsanweisung an den Besitzer. Doch unverrückbar vorformulierte Nutzungsanleitungen verstärken nur den Stress. Dabei möchte die überwiegende Zahl der „Best Ager”, die sich heute noch in den Motorradsattel schwingen, ihre rare Freizeit entspannend und genussvoll investieren.
An den Modellprogrammen der Hersteller lässt sich dieser Wandel ablesen. Etwa bei KTM. Ursprünglich waren die Österreicher eine Spezialistenmarke reinsten Wassers. Harter Offroad-Sport und KTM gehörten fest zusammen. Doch seit man vor einigen Jahren begann, sich dem gemeinen Motorradpublikum mit entsprechend abgemilderten Modellen zu öffnen, brummt es in Mattighofen. KTM gehört derzeit zu den Gewinnermarken am schwierigen Motorradmarkt.
Auch bei BMW hat man konsequent an den Stellhebeln hantiert, und die noch vor Jahren in Visier genommene Sparte der echten Offroader ohne sentimentale Anflüge ins Aus befördert. Die erst kürzlich zugekaufte Geländesportmarke „Husqvarna” hat man quasi an KTM-Boss Pierer verschenkt, der seinerseits nun gleich den Stecker im italienischen Werk gezogen hat, weil ihm zwar der Markennamen taugte, die Gepflogenheiten vor Ort aber wohl für seine weiteren Pläne weniger geschmeckt haben.
Ein deutlicher Indikator für den Wandel der Motorradgeschmäcker ist auch der deutliche Rückgang supersportlicher Straßenmotorräder im Verkauf. Nach derzeitigen Erkenntnissen darf gezweifelt werden, ob sich heute BMW noch einmal zum Bau eines reinrassigen Superbikes durchringen würde. Wohl eher nicht.
Ein Trend ist erkennbar. Dieser Trend heißt Tradition, womit sich der nachhaltige Erfolg von BMW-Boxern und auch von Harley-Davidson erklären lässt. Auf dieser Schiene wird es für alle Hersteller in den nächsten Jahren in Europa mit Elan weiter gehen. Selbst Honda bekennt sich wieder zu seinen Wurzeln, wie die klassisch gezeichnete CB 1100 im großen Test in dieser Ausgabe unter Beweis stellt.
Spektakuläre Leistungsdaten waren gestern, heute lässt man sich wieder vom Zauber schöner Kühlrippen beeindrucken.

Viel Vergnügen mit der MO-Juni-Ausgabe wünscht

Jo Soppa (Chefredakteur)
 

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