30 Jahre Honda Fireblade

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Das Un-Superbike: Wie Honda mit der Fireblade die Sportwelt neu aufrollte

Jetzt muss man sehr stark sein. Vor drei Jahrzehnten präsentierte Honda ein Sportmotorrad ganz neuer Dimensionen. Ja, wir haben mittlerweile 30 Jahre Honda Fireblade zu vermerken. So alt sind wir schon geworden, aber ist es die Feuerklinge auch?

„Eine feine Sache sind die Winkelventile der Neuen“ sagt Kollege Matze mit Blick auf die Schmiederäder der aktuellen Honda Fireblade und meint damit eigentlich, dass ja sonst recht wenig besser sei. Wobei dieses besser eher auf persönlichen Befindlichkeiten als auf Tatsachen beruht. Matze ist mit der Fireblade alt geworden, ich war gerade einmal fünf Jahre, als der CBR Mastermind Tadao Baba sein fertiges Werk auf die Weltbühne rollte. Dass Silberrücken Matze die extreme „Hintern hoch, Kopf in den Nacken“-Sitzposition weniger taugt, ist jetzt auch kein Wunder. Wobei es selbst mir mit 1,70 Metern Körpergröße doch deutlich in den Knien zwickt, so weit oben sind die Rasten. Die Ergonomie der Alten finde ich für ein Sportmotorrad eher ulkig. Weit weg von versammelt und angriffslustig aufs Vorderrad konzentriert. Abseits der Rennstrecke aber noch immer höchst tauglich und angenehm. Nicht, dass man mit Opa Blade nicht am Knie ums Eck biegen könnte.

 

Der Generationenunterschied halt. Während Matze wegen vergessenem Geldbeutel den teuren Sprit nicht begleichen kann, zahle ich kontaktlos mit dem Smartphone. Doch zurück zu den Motorrädern. Mit per Gesetzgebung auf 100 limitierten PS startete die Honda CBR 900 RR im Jahr 1992 ins Leben. Heute muss man Faktor 2,17 drauf rechnen, zur offenen Version mit 125 PS immerhin noch 1,74. Wahnsinnige 217,6 PS bedeutet das im Schein. Bei 14500 Umdrehungen wohlgemerkt. 1992 reichten bescheidene 8800/min für echte gemessene 98 PS. Wer ein bisschen Schimmer von nutzbarer Leistung hat, also der, die man im echten Leben auf den Boden bringen kann, dem dürfte ein Licht aufgehen, dass der Oldtimer abseits der großen GP-Kurse keinesfalls schlecht da steht. Oder anders ausgedrückt: 10,6 Sekunden vergehen zwischen 60 und 140 km/h im sechsten Gang mit der aktuellen 1000er. 9,3 Sekunden waren es 1992 mit der gedrosselten 900er. Autsch.

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Man müsste mit der aktuellen Inkarnation von Hondas heißestem Eisen eigentlich nur im ersten Gang unterwegs sein, um die alte Dame abschütteln zu können. Dreht man den Quirl aber fröhlich in den unteren Gängen auf Anschlag, dann passiert außer viel Getöse bis gut 8000 Umdrehungen erstaunlich wenig. Mit Sicherheit lässt Honda in den Gängen eins, zwei und drei die Pferde nicht frei galoppieren, sondern zäumt sie elektronisch ein. Das wäre wohl auch fahrlässig, aber was bitte, geben sie da frei? 60 PS? Nur an der ellenlangen Übersetzung – im vierten Gang stehen bereits 299 km/h am Tacho – und der enorm spitzen Leistungscharakteristik kann das Luftpumpenartige bei niedrigen, mittleren und mittelhohen Drehzahlen nicht liegen. Zieht man dann noch in Betracht, dass die aktuelle Fireblade gerade einmal sechs Kilogramm weniger wiegt als der Urahn, fragt man sich: Dreißig Jahre Entwicklung, wo versteckt ihr euch?

Mit fulminantem Durchzug fährt die alte Dame dem Jungspund auf der Landstraße locker davon

Mittlerweile extremst in der Rennsporttauglichkeit. Die Ingenieure in Tokio haben sicher nicht geschlafen. Die Bremse zum Beispiel: Verzögert an der neuen Kiste mit der Macht einer Granitwand, an der sich die alte platt fährt. Und mit keinem anderen Motorrad fährst du mit solch intensivem Vorderradbezug ums Eck. Unfassbar, wie das einlenkt und feedbackt. Das ist, was sich Marc Marquez wünscht und sich bis in die Serie zieht – kein Scherz. Dagegen agiert die Ur-Blade einfach plump.

 

 

Jegliche Versuche, mit der Alten dem neuesten Eisen auf der Rennstrecke zu folgen, würden unweigerlich in Trauer und Schmerzen enden. Dort, wo Druck in der Mitte, eine lässige Ergonomie und Nutzerfreundlichkeit keine Rolle spielen, stampft die Digital-Blade die alte ungespitzt ins Kiesbett. Und ganz nebenbei muss sie gegenüber ihrer harten Konkurrenz aus Japan und Europa ihre Rundenzeiten nicht mehr verstecken. Das war auch einmal anders. Nur im Profi-Rennsport will es halt nicht so richtig klappen. Wie eigentlich fast immer schon, aber mit dem großen Unterschied, was die Honda Fireblade heute ist und was sie früher einmal gewesen ist – ja, was sie überhaupt zur Legende gemacht hat.

 

 

Die Neunziger

Denn die Saga beginnt beileibe nicht auf dem Rundkurs. Dafür ist die RC 30 da, die VFR 750, die in den ersten beiden Jahren 1988 und 1989 der damals noch neuen Superbike-Weltmeisterschaft unter dem Amerikaner Fred Merkel Titel einfährt und ab 1993 die RVF 750 (RC 45), mit der 1997 sein Landsmann John Kocinski aufs oberste Treppchen rast. Die CBR ist mir ihren knapp 900 Kubik für gar keine Rennserie zugelassen, was erst aus dem heutigen Blickwinkel total unlogisch erscheint, wo wir alles in Kategorien sehen. Die beiden RC sind aber selten und teuer, nichts für den Massenmarkt in einer Zeit, als man Sportsgeist noch auf der Straße auslebte.

 

Total Control – totale Kontrolle – lautete das Credo von Tadao Baba. Maximal unprätentiöses Handling und der Blick auf die Waage über brutaler Leistung. Und so fährt sich die erste CBR 900 RR direkt in die Herzen vielen Landstraßen-Sportfahrer. „Mein Kumpel hat immer noch seine alte Fireblade. Mit Superbike-Lenker, wie man das damals halt gemacht hat. Der hat bis heute nichts gefunden, was für ihn besser fährt. Früher blieb dir nichts anderes übrig, wenn du auf der Straße schnell fahren wolltest, alles andere war ja scheiße. BMW R 80 und so“, weiß mein in Weisheit gealteter Begleiter. Heutzutage kann man dazu einfach einen x-beliebigen Roadster nehmen.

Die versammelte Konkurrenz, egal ob Ducati 888, Suzuki GSX-R 750 und 1100 oder Yamaha FZR 1000, fährt die CBR 900 RR in den MO-Tests in Grund und Boden. Es gibt keinen besseren sportlichen Allrounder. Keine hat so mächtigen Punch, feines Handling und federleichtes Gewicht. Keine ist so zuverlässig, keine hat diese Qualitäten. Erst Ende der neunziger Jahre kippt die Dominanz langsam. Die 96er Suzuki GSX-R 750 SRAD drückt 126 PS und wiegt auch nur mehr 205 Kilogramm, und 1998 betritt eine gewisse Yamaha YZF-R1 die Bühne, die mit 150 PS nach der Kundschaft fischt. Es muss sich also etwas tun.

Die Zweitausender

Weil die Welt mit dem Jahrtausendwechsel doch nicht explodiert ist, bringt Honda eine ganz neue Blade, die in gewisser Weise einem Trend hinterherläuft, statt ihn zu setzen. So mancher fühlt sich anhand der Leistung – 152 PS – um die wahre Seele der Fireblade betrogen. Doch Baba-San beweist sein Genie und zeigt, dass solch brutale Leistung und die liebgewonnene CBR-Fahrbarkeit unter einen Hut zu bekommen sind. Gerade Yamaha dürfte nicht schlecht gestaunt haben, gilt deren R1 doch als absolutes Biest und nur etwas für Profis. Entsprechend fällt das Fazit im ersten Vergleich von Honda CBR 900 RR, Kawasaki ZX-9R und Yamaha YZF-R1 aus: Die Honda bleibt das Nonplusultra an Fahrbarkeit.

 

 

Um Rennsporterfolge kümmert sich derweil wieder ein ganz anderer Vertreter des großen Honda-Flügels. Man setzt erfolgreich auf den Liter-V-Twin der herrlichen VTR 1000 SP. 2000 und 2002 heimst Colin Edwards die Fahrertitel ein.

Doch es wird nicht leichter. 2001 kommt die Suzuki GSX-R 1000 auf den Markt, 2004 die Kawasaki ZX-10 R, und das Wettrüsten bekommt ab Mitte der Zweitausender einen Lauf. Legenden, die sich um die Fireblade scharen, ja, die sie selbst mit erschaffen hat, indem Honda 1992 den Grundstein für eine neue Art von Sportmotorrädern geschaffen hat.

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CBR 1000 RR, SC 57, 2004 bis 2007. Willkommen im MotoGP-Zeitalter. Die Fireblade sieht aus wie Rossis Messer. Ein ganz neues Motorrad mit Renntechnik. 998 ccm, 171 PS, zirka 170 kg trocken. Bis heute die einzige Blade mit Superbike-WM-Titel (2007)

 

2004 wird in der Superbike-Weltmeisterschaft das Limit von 750 ccm für Vierzylinder gekippt, das ehemalige Landstraßensportmotorrad rutscht auf einmal in die Rennsportklasse. Fortan heißt es: Wer baut das schnellste Superbike mit Straßenzulassung? Hier hat es Honda nicht immer leicht. In keinem Rennstreckenvergleichstest von MO geht sie als Sieger hervor. Auf der Landstraße immer noch ein ausgewogenes Paket, verliert der Name an Glanz. Erst mit dem Update 2006 erntet sie wieder mehr Lob und – sehr überraschend – 2007 unter James Toseland den Titel der Superbike-WM. Der bis heute einzige Titel für eine Fireblade überhaupt. Ein großer Wurf ist das 2008er Modell. Doch dafür müssen die Ingenieure mit den Vorgängern brechen, die Fangemeinde muss sich umstrukturieren.

Die Zweitausendzehner

Das allgemeine Interesse am Sportmotorrad sinkt, die ehemalige Volumenkategorie wird zusehends zur Nische für absolute Vollgasköpfe. Rennstreckenperformance zählt mehr denn je. Im Jahr 2009 hat BMW mit der S 1000 RR noch mal eine Schippe aufgelegt, die Fireblade basiert über Jahre auf dem 2008er Entwurf und bekommt lediglich sanfte Updates spendiert. Die Schlagzeilen greifen die anderen ab.

 

Im Jahr 2012 fährt der Ex-MotoGP-Pilot Jeremy McWilliams alle Werkssuperbikes für MO und attestiert der Honda: „Natürlich ist auch auch die Werks-Honda ein wahnsinniges Geschoss, doch die Art der Leistungsentfaltung und wie sie aus der Kurve schiebt, ist verblüffend gut und kontrollierbar.“ Total control – selbst zwanzig Jahre nach dem Erstentwurf steckt der Geist von Tadao Baba in ihr, womit eigentlich alles gesagt ist. 2017 wringt sich Honda eine neue Fireblade heraus, die vollgestopft ist mit dem Neuesten an Elektronik. „Totale Kontrolle durch mehr Elektronik und weniger Gewicht“ schreibt Patrick Sauter beim ersten Test. Man besinnt sich auf eine neue Art auf alte Tugenden. Tatsächlich gehört die Fireblade wieder zu den Superbikes mit der besten Fahrbarkeit. Das Biestige überlässt sie erneut anderen.

Die Zweitausendzwanziger

2020 schaut das Lastenheft ein wenig anders aus. Nicht ohne Grund. Nach Jahren der Abstinenz gibt es in der Superbike-WM erstmals wieder einen richtigen Werkseinsatz, und man möchte sich nicht vorführen lassen. Was in der Entwicklung eine echte Zäsur ist. Zum ersten Mal wurde die Fireblade mit größtem Fokus für Rennerfolge entwickelt. Was die extreme Leistung, die extreme Ergonomie, überhaupt die extremste aller Fireblades erklärt. Es liegen nicht nur dreißig Jahre zwischen der SC 28 und SC 82, sondern gänzlich andere Ansätze.

CBR 1000 RR-R, SC 82, ab 2020. Alle Kompromisse scheinen über Bord geworfen. Die aktuelle Blade ist die Extremste aller Zeiten. Rennsport ist der alleinige Treiber. Wieder ein ganz neues Motorrad. 1000 ccm, 217 PS, 201 kg vollgetankt

Und doch hat man den guten alten Baba-San und seinen Grundsatz der totalen Kontrolle nie gänzlich aus dem System geschmissen. Anders ist es nicht zu erklären, wie ich schon im ersten Versuch in der Fotokurve sanft das Knie auf den Boden setze und mit sauberem Strich am Bordstein entlang segele. Honda bleibt eben Honda. Fireblade bleibt Fireblade. Totale Kontrolle, Baba-San hat es schon immer gewusst. Happy Birthday Fireblade.

 

 

 


Text: Nico Röder